In∙ter∙fe∙renz

EINSTELLUNGSRAUM e.V..
Wandsbeker Chaussee 11, Hamburg.
Einzelausstellung vom 08.03.2018 bis 29.03.2018.
Vernissage am 07.03.2018 um 19:00 Uhr.

Öffnungszeiten: donnerstag und freitags 17 - 20h.

Zur Finissage am 29.03.2018 19h spricht Dr. Thomas J. Piesbergen.


Der Geist in der Maschine - Eröffnungsrede zur Ausstellung "Marcel Große: in-ter-fe-renz" von Dr. Thomas Piesbergen
Die Ausstellung „in-ter-fe-renz“ von Marcel Große wurde gezeigtin der Gallerie des Einstellungsraum e.V.`s im Rahmen des Jahresthemas "Keine Wendemöglichkeit"

Begegnet man der Kunst von Marcel Große, so drängt sich mit dem ersten Eindruck das Narrativ westlicher Wissenschaft auf, und damit auch gleich die gegenwärtig modern gewordene Annäherung von Wissenschaft und Kunst, die seit etlichen Jahren einen bedeutenden Raum im künstlerischen Diskurs einnimmt und immer wieder dialogische Kontexte hervorbringt.

Die Wissenschaft selbst tritt an die Öffentlichkeit mit visuell überraschend ästhetischen Ergebnissen, die mitunter als zeitgeistrelevante Dekoration unseres Alltags Verwendung finden, wie z.B. die psychedelisch anmutenden Verbildlichungen der Mandelbrot- oder Julia-Mengen oder Fotografien des Hubble-Teleskops.

Andererseits bedient sich die Kunst an wissenschaftlichen Denkmodellen und Gedankenexperimenten. Die Beschäftigung mit neuen thematischen Zusammenhängen wird gerne als „Forschung“ bezeichnet, auch wenn sie meist der wissenschaftlichen Methodik entbehrt. Künstler nutzen naturwissenschaftliche Verfahrensweisen. Sie stellen Versuchsanordnungen auf, die entweder gezielt Prozesse nachvollziehen, oder in ergebnisoffenen Verfahren selbsttätig Werke hervorbringen sollen.
Oder es werden mit ästhetischen Zitaten und Requisiten Szenarien geschaffen, die assoziative Komplexe ansteuern sollen, um in unserer Vorstellung den Nimbus des wissenschaftlichen Narrativs zur Entfaltung zu bringen.

Doch ob sich nun die Wissenschaft der Kunst annähert oder die Kunst der Wissenschaft - in beiden Zusammenhängen werden die Übereinstimmungen betont und fast will es scheinen, als wollten beide Sphären des menschlichen Bemühens nach Welterkenntnis am liebsten miteinander Verschmelzen.

Dabei wird in der Regel aber übersehen, daß bereits die grundlegenden Voraussetzungen beider Sphären einander diametral entgegengesetzt sind.
Denn während die Wissenschaft immer utilitaristisch ist und ohne das Paradigma der Neutralität und Objektivität in sich zusammenbrechen würde, geht die Kunst immer von einem subjektiven Standpunkt aus, einem sinngebenden blinden Fleck, sie generiert Bedeutung, die sich keiner praktischen Anwendung unterordnet und die niemals neutral sein kann. Der Lyriker Günther Kunert sprach davon, daß die Kunst nutzlos sei, aber sinnvoll. Sinn und Bedeutung sind der Kunst inhärent, sind ihr intentioneller Bestandteil.
Der legitimen Wissenschaft hingegen kann beides nur von außen zugeschrieben werden. Denn wäre es die Intention wissenschaftlicher Forschung, nicht technische Effekte zu erzielen oder objektive Erkenntnis, sondern spezifische Sinn- oder Bedeutungszusammenhänge hervorzubringen, wäre sie bereits unwiederbringlich korrumpiert, wie z.B. die von totalitären Regimen gesteuerte Geschichtswissenschaft, die nicht mehr dem Erkenntnisgewinn dient, sondern eine Legende hervorbringen soll, um eine Ideologie zu rechtfertigen.

Das Narrativ der Wissenschaft in der Kunst kann also nicht mehr sein, als eine Metapher, ein Spiegel, der uns hilft, unser Wahrnehmungskontinuum in eine sinnvolle und bedeutsame Ordnung zu bringen. Das elementarste Mittel, das aber dem Menschen zur Verfügung steht, um die Wirklichkeit sinnvoll zu ordnen, ist die Narration, die sich die verschiedenen Narrative einverleibt. Narrationen wiederum erhalten ihre Kraft ausschließlich aus ihrer Eigenschaft, daß sie sich aus den essentiellen Bedingtheiten des Menschen speisen, aus der conditio humana.

"DROP" / Photogramm / 21 cm x 24 cm / 2017

Erkennt ein Rezipient in einem künstlerischen Werk, ganz gleich welcher Machart und von welchem Abstraktionsgrad, Aspekte seiner Selbst und der erfahrenen menschlichen Beziehungen wider, also Aspekte der conditio humana, entsteht Resonanz. Das Werk spricht zu ihm. Bleibt diese Resonanz aus, bleibt es stumm, ist es für ihn irrelevant. Das Gleiche gilt für den Künstler. Der einzige Grund, etwas hervorzubringen, das ohne praktischen Nutzen ist, besteht auf der Ebene der Bedeutung, also auf der subjektiven Narration, die wiederum notwendig aus der conditio humana hervorgeht. Selbst wenn dieser Zusammenhang nur erahnt wird oder sogar unbewußt bleibt, liegt er notgedrungen aller künstlerischen Gestaltungsabsicht des Menschen zugrunde.

Dementsprechend begegnet uns in Marcel Großes Ausstellung auch kein akuter Prozess, sondern lediglich seine Repräsentation, gegliedert in eine chronologische und damit narrativ interpretierbare Form.
Zu Elementen, die tatsächlich Bestandteil des künstlerischen Prozesses gewesen sind, treten solche, die nicht-funktional, also nur durch ihre Wirkung in einem bedeutungsstiftenden, also narrativen Zusammenhang relevant sind.

Im Galerieraum des Erdgeschosses steht eine Versuchsanordnung, die über einem Wasserbecken aus entgegengesetzter Richtung zwei Impulse stark komprimierter Luft abgeben kann. Darüber ist ein Blitzlicht angebracht, das wiederum ermöglicht, die Interferenzmuster und Schatten der Wellen und Wasserspritzer, die durch die Kollision der Luftmassen auf der Wasseroberfläche entstehen, nach der Art eines Photogramms aufzunehmen. Als Hinweis auf die Durchführbarkeit und zugleich die Massivität des vorgestellten Ereignisses, hängt ein symbolischer Gehörschutz an der Apparatur.

Ein zweiter Teil dieser Installation ist die schwarz gestrichene, mit wenigen Löchern perforierte Abdeckung von Fenstern und Wänden. Sie erinnert an Schutzfolien, die in verschiedensten Zusammenhängen gebräuchlich sind, und die wiederum auf Vorgänge verweisen, die ihre Umgebung stark in Mitleidenschaft ziehen können oder sogar ein Maß an Gefährdung mit sich bringen.

Die Verdunklung des Raumes erinnert zudem an eine Dunkelkammer, also an den Ort eines künstlerischen Prozesses, der sich wissenschaftlicher Verfahren bedient. Gleichzeitig ist dem Rezipienten aber bewußt, daß die Abdeckung weder den einen, noch den anderen praktischen Zweck erfüllen würde, daß sie nur Teil einer Inszenierung ist.
Die Chronologie der Narration wird fortgesetzt im Kriechkeller des Einstellungsraums. Hier ist eine Dunkelkammer mit den verschiedenen Becken für Entwickler, Wasser und Fixierer nachgestellt. Eine Reihe von mißlungenen Abzügen auf dem Boden suggeriert, hier hätte ein zweiter Arbeitsschritt stattgefunden, eine Trial-and-Error-Suche nach einem befriedigenden Ergebnis, in dem der Künstler seine Gestaltungsabsicht am treffendsten repräsentiert findet.
Doch auch diese Anordnung ist deutlich als Kulisse zu erkennen, da sie weder über eine ausreichende Lichtabschirmung, noch über Rotlicht, geschweige denn eine praktische Arbeitshöhe verfügt.

In dem zweiten Kellerraum schließlich werden die Ergebnisse des künstlerischen Prozesses präsentiert: Die Photogramme von Interferenzen, die von Druckentladungen oder Steinwürfen im Wasser gebildet wurden.

Diese beschriebenen Elemente bilden das formale Gerüst der Narration, ihre Architektur. Doch das rein formale, technische Arrangement kann über die inhaltliche Ebene eines Kunstwerks, trotz formaler Kohärenz, ebenso wenig aussagen, wie das formale Schema des antiken Regeldramas oder der mythischen Heldenreise über die dem Werk eigenen inneren Bewegungen und das darin behandelte, spezifische menschliche Drama.
Was also geschieht auf der inhaltlichen Ebene der Installation? Welche akuten Vorgänge und welche Verweise auf die conditio humana behandelt die vorliegende Narration?

Der initialisierende Impuls sind zwei Luftmassen, die mit hohem Druck frontal aufeinander losgelassen werden. Hier begegnet uns die Referenz auf das Jahresthema des Einstellungsraums: Keine Wendemöglichkeit. Dem Axiom der Energieerhaltung zufolge, ist die Kollision der beiden Luftmassen unausweichlich. Das, was diese Massen jedoch gegeneinander zwingt, ist eine Maschine, ein Objekt aus der rein utilitaristischen Sphäre der Technik.
Die Unausweichlichkeit und Erbarmungslosigkeit dieser erzwungenen Konfrontation wird durch das seit der Romantik tradierte Narrativ der Maschine als bedrohlicher Widerpart von Mensch und Natur verstärkt.

Doch die Konfrontation, die sich im Ausstellungszusammenhang nur in der Vorstellung des Rezipienten ereignet, bleibt so unsichtbar, wie auch in der faktischen Durchführung. Sie muß erst sichtbar gemacht werden.
Bereits in diesem Schritt tritt das menschliche Element in den Prozess ein und stört die sonst kontrollierte Versuchsanordnung: da der Blitz einen Sekundenbruchteil nach der Entladung stattfinden muß, damit eine Wellenbildung auf dem Wasser erst stattfinden kann, löst Marcel Große ihn per Hand aus.

„In-ter-fe-renz“/ Installation / Druckspeicher, elektr. Ventile, Wasser, Kompressor, Luft, Fotopapier/ Größe variabel /2018

Hier wird ganz gezielt das Momentum des Zufalls und der Unbestimmtheit in den Prozess integriert, die mangelnde Perfektion des Menschen, der sich immer nur an die idealtypische Ausführung der Aufgabe annähern, sie aber nie erreichen kann, es sei denn wiederum durch den Zufall.
Ein weiterer Grund für die bewußte Verzögerung der Belichtung liegt in der Intention des Künstlers begründet, nicht die Kräfte in ihrer Bewegung aufeinander zu einzufangen, sondern die Effekte zu beobachten, die sich unmittelbar nach der Kollision ergeben. Wenn die Luftmassen einander nicht ausweichen können, wohin bewegen sie sich, welche Auswirkung hat ihr Zusammenprall?

Das führt uns über den angedeuteten Umweg durch die Dunkelkammer zu den ausgestellten Ergebnissen, die, im Vergleich zu dem kruden, funktionellen Versuchsaufbau mit seiner Konnotation der automatisierten und seelenlosen Gewalttätigkeit, auf den ersten Blick überraschend ästhetisch, ja sogar zart wirken.

Doch sobald man beginnt, aus den filigranen Brokatschleiern in sanft abgestuften Grautönen die Entstehungsgeschichte der Muster heraus-zulesen, ändert sich das Bild: wir rekonstruieren den massiven Zusammenstoß der Luftmassen, der die Oberfläche des Wassers aufgerissen und in Bewegung versetzt hat, der Strömungswirbel und Wellen ausgelöst hat, die sich nun aneinander vorbeidrängen müssen.

Zero / Photogramm / 60 cm x 50 cm / 2018

Bemerkenswert ist vor allem das Zentrum der Turbulenzen: Es ist, wie das unberührte Wasser am Rande des Ereignisses, gleichmäßig grau, doch ist es kein lichtes, stilles und transparentes Grau, sondern es wirkt opak, verwüstet, ausgelöscht, ein Ground Zero.

Um dieses unmittelbare Zentrum liegt eine Zone chaotischer Verwirbelung und Durchdringung, in der man beobachten kann, wie die einander entgegengesetzten Kräfte aufeinander einwirken. Verfolgt man die Bewegung vom Zentrum des Kataklysmus weiter nach außen, wird man Zeuge des erstaunlichen Prozesses der synergetischen Selbstorganisation der Natur: aus den chaotischen Interferenzen bilden sich schließlich große, makellose Wellenringe, die sich später über die ganze Wasserfläche ausbreiten werden.
Die Photogramme dokumentieren also den Weg aus dem formlosen Chaos der Vernichtung über die erneute Selbstorganisation bis zur harmonischen Neuordnung, in der die reglose, transparente Stille bereits wieder antizipiert ist.
Damit wird die Narration, die aus den installativen Elementen der Ausstellung herausgelesen werden kann, in ganzem Umfang in den Photogrammen gespiegelt, die am Ende des Prozesses stehen.

(Am Rande, um die diese hier entworfene Chronologie zu untermauern, sei noch angefügt, daß ein Bild im Erdgeschoss bei der Apparatur einen Entwicklungsschritt dokumentiert, der diesem Werkkomplex voraus-gegangen ist, während mit den Ergebnissen im Keller bereits Bilder eines neuen Werkkomplexes ausgestellt werden, der sich noch im Entwicklungsprozess befindet. Der Zeitstrahl wird also auf der Prozessebene über den Werkkomplex hinaus in beide Richtungen verlängert.)

Doch welche Bedeutung können wir schließlich aus der hier geschilderten Narration herauslesen? Wir sehen bereits in den Anfangsbedingungen eine Spannung. Die in dem Ausgangszustand gespeicherte Energie ergibt sich aus dem Ungleichgewicht der Druckverhältnisse zwischen der umgebenden Atmosphäre und dem Presslufttank, das einer Entlastung, einem Ausgleich entgegenstrebt.
Und schließlich sehen wir, wie die nach Ausgleich strebenden Kräfte, nachdem sie in einem erzwungenen, unausweichlichen und formvernichtenden Kataklysmus aufeinander geprallt sind, sich selbst reorganisieren und wieder zu einer geschlossenen, harmonischen Form finden.

So erlaubt es die Narration, aus ihr eine Hoffnung herauszulesen, daß die Kräfte, die von einer Anordnung, die einem rein utilitaristischen Kontext entstammt, bzw. ihn repräsentiert, und die von diesem Mechanismus zu einer zerstörerischen Konfrontation gezwungen wurden, wieder zu einem Equilibrium finden werden, und daß es vielleicht auch dem Mensch, eingezwängt in eine ökonomisch-utilitaristische gesellschaftliche Wirklichkeit, die die Ursache nahezu aller anthropogenen Gewalt und Zerstörung ist, dennoch wieder gelingt, zu einem Zustand zu finden, in dem er in einem harmonischen Einklang mit der ihn umgebenden Welt und sich selbst leben kann.

ⓒ by Thomas Piesbergen / VG Wort, März 2018


Mehr: http://www.einstellungsraum.de/archiv_news2018_02.html